Weihnachtsrede im Bayreuther Stadtrat 2016

Nachdem im jährlichen Wechsel dem jüngsten und dem ältesten Stadtratsmitglied die Worte zum Jahreswechsel vorbehalten sind, war in diesem Jahr wieder Grünen-Stadtrat Tim Pargent als jüngster Stadtrat Bayreuths an der Reihe. Seine Weihnachtsrede finden Sie hier.

22.12.16 –

Tim Pargent am 21.12.2016 im Rahmen der 34. Sitzung des Bayreuther Stadtrates

Es gilt das gesprochene Wort.  

Sehr geehrte Frau Oberbürgermeisterin,
sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
meine Damen und Herren,  

eine solche Weihnachtsrede - oder "Worte zum Jahreswechsel" wie es eigentlich heißt " - verlangen immer einen schlaglichtartigen Rückblick auf das vergangene Jahr unserer Stadt Bayreuth und logischerweise einen Ausblick auf das kommende Jahr und das verbunden mit einigen konkreten Forderungen. So sei an dieser Stelle auf die letztjährige Rede des geschätzten Kollegen Professor Grüninger erinnert, dessen Wunsch nach einer Raucherlounge am besten verglast und innerhalb des Sitzungssaals, damit auch mit Zigarette die Teilnahme an Beratung und Abstimmung möglich ist, bis jetzt unerfüllt blieb.  

Ich jedoch möchte an dieser Stelle ganz bestimmt nicht alle Ereignisse der Stadtgeschichte rekapitulieren, wie sie in unserer Stadtchronik niedergeschrieben sind. Vermutlich ist auch niemand hier im Raum, die oder der eine Ansprache nach dem Motto, was lief gut, was lief schlecht und warum wir in Bayreuth die tollsten sind, erwartet. Stattdessen möchte ich mich einigen Debatten zuwenden und versuchen zu verstehen, wie und mit welchen Mitteln sie geführt werden. Oder besser gesagt: Wie funktionieren und wirken Bayreuther Diskurse?   Also was waren die großen Debatten des vergangenen Jahres? Ganz klar Sanierung und Umbau der Stadthalle beschäftigte uns auch in 2016 und wird uns noch einige weitere Jahre beschäftigen. Das gleich gilt wohl oder übel für die Sanierung des Hans-Walter-Wild-Stadions. Die Nachnutzung des Landesgartenschaugeländes besonders für kulturelle Ereignisse wird uns genauso auf der Agenda erhalten bleiben wie die angespannte Haushaltslage. Und was gegen Ende eines jeden Jahres nicht fehlen darf, ist ebenfalls ein absoluter Evergreen der kommunalpolitischen Debatte: Die Beratung der freiwilligen Leistungen im Bereich Kultur und Heimatpflege.  

Vieler dieser Debatten laufen doch eigentlich nach einem ähnlichen Schema bzw. mit einer ähnlichen Argumentation ab: Weil Bayreuth eine Kulturstadt ist, kann in diesem Bereich natürlich keine Kürzung vorgenommen werden. Für die jeweilige Diskussion ersetze man nun Kulturstadt einfach durch Sportstadt, durch Wirtschaftsstandort, durch Wissenschaftsstandort, durch Bildungsregion, durch Genussregion oder auch sehr beliebt durch Kinder- und Familienfreundliche Stadt. So gelingt es im Handumdrehen den jeweils eigenen Bereich zu protegieren oder zu begründen, warum die Stadt denn nun unbedingt handeln und einspringen müsse. Es sind diese Überschriften, die gerne bemüht werden und dabei zu Phrasen, Hülsen und manchmal auch Klischees verkommen. Diese Diskurse sind die großen Erzählungen, die oftmals von einstigen Höhepunkten der Stadtgeschichte erzählen oder Visionen und Utopien aufwerfen. Doch wir müssen uns fragen, ist es wirklich gut, wenn unsere Entscheidung bereits einer gewissen Pfadabhängigkeit unterliegen? Begrenzen wir die Möglichkeiten nur dadurch, dass Wege in der Vergangenheit in eine bestimmte Richtung eingeschlagen wurden und die einer bestimmten Überschrift folgen?  

Wenn ich nun mit einigen Beispielen fortfahre, möchte ich ausdrücklich nicht missverstanden werden: Nur weil versuche zu rekonstruieren, wie die Diskurse wirken und welche Effekte sie nach sich ziehen, bedeutet das nicht dass ich alle damit einhergehenden Maßnahmen und Beschlüsse, die ich nenne, kritisiere. Ich möchte viel mehr dazu anregen, über Vor- und Nachteile, über positive und negative Effekte dieser Form der Argumentation und Legitimation zu reflektieren.  

Nun zu einem Beispiel: Die Kulturstadt Bayreuth! Ich denke darüber, dass Bayreuth sich Kulturstadt nennen darf, besteht absolut kein Zweifel. Die Wagner-Festspiele, die Museumslandschaft und die vielen Kulturschaffenden sprechen eine eindeutige Sprache. Und all das ist es was überregionale Diskussion zur Stadt Bayreuth prägt und leider auch entscheidend verkürzt. Jetzt könnte man sagen, naja lieber verkürzt in der überregionalen Wahrnehmung als gar nicht wahrgenommen. Hier in Bayreuth erzählt man sich dann immer gerne die Geschichten als man noch vor lauter hochkarätiger internationaler Stars den roten Teppich vor dem Festspielhaus nicht mehr sehen konnte. Auch dieser Funken Eitelkeit schwingt mit, wenn im Bereich Kultur beraten wird. Dann bleiben die freiwilligen Leistungen, trotz anderslautendem Beschluss weitgehend ungekürzt. Denn man müsse sich ja zur Kulturstadt Bayreuth bekennen. Eine Museumssanierung wird schnell um einen großzügigen Erweiterungsbau ergänzt. Und unabhängig von meiner persönlichen Überzeugung zur Sanierung der Stadthalle, die ich auch gerade wegen der nicht unmittelbaren kulturellen Nutzung und der städtebaulichen Relevanz für richtig halte, stellt sich die Frage, ob in einer anderen Stadt ebenfalls der Mut für eine solche Großinvestition aufgebracht worden wäre. Dies soll nicht der Ort sein, die Einzelmaßnahmen in ihrem Pro und Contra abzuwägen, sondern aufzeigen, dass neben sachlichen Gründen auch gerne eine bestimmte Bezeichnung der Stadt in diesem Fall als Kulturstadt geradezu als Totschlagargument hergenommen wird. Und man merkt, dass diese Diskurse nur noch ein Denken in Schwarz oder Weiß zulassen, ohne dass die bisherigen Bemühungen und das bisherige finanzielle Engagement noch gewürdigt wird.  

Ganz ähnlich funktioniert auch der Diskurs der Sportstadt. Man erzählt sich gerne die Geschichten als die Altstadt beinahe in die 1. Bundesliga aufgestiegen wäre und als noch eine ganze Reihe von Olympioniken nicht nur aus Bayreuth stammten, sondern auch noch hier trainierten. Wenn man mit Vereinsfunktionären in Bayreuth mal ins Gespräch kommt oder sich Leserbriefe und Beiträge in den sozialen Netzwerken zum Thema Hans-Walter-Wild-Stadion durchliest, bekommt man manchmal den Eindruck, die Stadt interessiere sich überhaupt nicht für die Anliegen der Sportvereine und Sportstadt brauche man sich eigentlich gar nicht mehr zu nennen. Auch dieser Diskurs ist leider bereits in Schwarz-Weiß-Denken gekippt. Dabei sind die Maßnahmen, die die Stadt für Sportvereine ergreift durchaus umfangreich. An dieser Stelle nur einige Beispiele: 81.000 € für die Jugendförderung, 60.000€ Übungsleiterzuschuss, Überlassung aller Einnahmen aus der Bandenwerbung, Eisbereitung im Eisstadion mittlerweile bereits im August, ein komplettes Sportbad, vollständig kostenlose Überlassung aller Turnhallen an Vereine spätestens nach Schulschluss und nicht zu vergessen eine völlig neue Dreifachturnhalle. Für den Breiten- und Vereinssport ist es nicht vermessen, wenn ich sage: Wir leben eigentlich auf einer Insel der Glücksseligen. Und auch wenn ich die Sportförderung auch in diesem Ausmaß für grundsätzlich richtig halte, frage ich mich: Gehen wir in anderen Bereichen, in denen wir über keine besonderen Zuschreibungen wie den der Sport- oder Kulturstadt verfügen, genauso großzügig vor? Zum Beispiel im Bereich des Sozialen. Steht die Stadt Sozialträgern und sozialen Initiativen genauso bedingungslos zu Seite, wie Sportvereinen und den etablierten Kulturschaffenden?  

Ich könnte mich nun noch an vielen weiteren Diskursen, wie dem Wirtschaftsstandort oder der Familienfreundlichen Stadt, abarbeiten, doch ich glaube das Für und Wider solcher Erzählungen von Bayreuth als ganz besondere Stadt in Sachen X, Y oder Z ist klar geworden: Diskurse schaffen einerseits Identifikation in einem bestimmten Bereich. Sie schaffen es Alleinstellungsmerkmale herauszubilden und so die Sichtbarkeit von Bayreuth zu erhöhen. Andererseits neigen solche Zuschreibungen, dazu in eine undifferenzierte Diskussionen zu münden in denen nur noch Superlative recht sind. Dann ist es nur folgerichtig, dass Erwartungen immer wieder unerfüllt bleiben müssen und Menschen unnötig enttäuscht werden. Gleichzeitig dienen diese Labels dazu: 1. weitere Maßnahmen im jeweiligen Bereich einzufordern, obwohl schon ein guter Status Quo erreicht ist. 2. werden Dinge von der Stadt eingefordert, die oft eigentlich gar nicht ureigene Aufgabe der Kommune sind und 3. verbieten sich Einschnitte bereits von vornherein, denn man wolle ja den jeweiligen Status nicht verspielen. So legitimiert die Zuschreibung und der Diskurs auch die jeweils Einflussreichen, während andere außen vor bleiben. Vorgezeichnete Wege begrenzen also auch unseren Handlungsspielraum.  

Was bleibt also festzuhalten: Die großen Diskurse und Zuschreibungen unserer Stadt bieten Chancen. Doch mindestens so sehr wie sie einen klaren Außenauftritt und eine starke Identifikation ermöglichen, ja mindestens so stark legen sie unser Handeln und unsere Entscheidungen fest und verunmöglichen manchmal auch neue Wege. Um es mit Habermas zu sagen: Diskurse regieren nicht. Nein, aber um mit Foucault zu widersprechen: Diskurse forcieren bestimmte Vorstellungen, die bestehenden Machtstrukturen entsprechen und gleichzeitig bestimmte neue Realitäten hervorbringen. Auf gut Deutsch: Wer wahrt hier seine Pfründe oder welche Pfründe bewahren wir? Es liegt also an uns welchen Phantomen der städtischen Zuschreibung wir hinterherjagen, wann wir eine differenzierte Position einnehmen, wann wir Funktionären sowie Bürgerinnen und Bürgern klar sagen, dass die Leistungsfähigkeit erreicht ist, wo wir uns von alten Zöpfen trennen oder wo wir auch mal neue Wege einschlagen.  

Nun möchte ich, wie könnte es anders sein, doch noch einen persönlichen Wunsch loswerden und der betrifft auch die Diskussionskultur: Ja, Diskussionen in unserem Gremium können langwierig sein. Auch ich erlebe das mit. Doch kann es wirklich eine Lösung sein, die Diskussionen zunehmend öfter vorzeitig zu beenden? Waren es nicht gerade die langen aber dafür intensiven Diskussionen und Beratungen, die wirklich einen Erkenntnisgewinn brachten. So zum Beispiel die Beratung um die Sanierung des Klinikums in diesem Jahr. Auch viel zu oft werden Kritikerinnen und Kritiker eines bestimmten Beschlusses als "Bedenkenträger" abgetan, nach dem Motto, ja, ja, die sind ja immer gegen alles. Oder da kann man doch gar nicht dagegen sein. Dabei lässt die Gemeindeordnung genau zwei Formen der Abstimmung zu. Ja oder Nein. Dafür oder Dagegen. Und ich persönlich empfinde diese beiden Wege der Abstimmung als gleichwertig. Nicht als schwarz oder weiß, sondern als zwei Seiten einer Medaille. Ich würde mich freuen, wenn Kritik, ob sie in der jeweils subjektiven Sicht nun berechtigt sein mag oder nicht, künftig nicht als Bedenkenträgerei abgetan wird.

Mit diesem Wunsch darf ich schließen. Mit einer gewissen Vorfreude auf viele intensive Beratungen auch im nächsten Jahr wünsche Ihnen allen eine friedliche Weihnachtszeit und ein frohes neues Jahr 2017.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.